Wolfsnacht - Kapitel 2
Das Treffen
Ich wartete fast den ganzen Tag. Meine Mutter ermahnte mich: "Mondlicht! Schlaf ein bisschen! Sonst bist du heute Abend zu müde!" Ich nickte und trottete zu meiner Schlafkuhle. Unruhig wälzte ich mich im Schlaf. Heute Abend würde ich mit dem schönsten Wolf, den ich kannte, jagen gehen. Ich hatte die wildesten Träume. Ich träumte, dass wir auf einer Lichtung gemeinsam an einem Bach tranken und uns aneinander kuschelten.
Irgendwann wachte ich auf. Ich hatte Durst und lief vor unserem Treffen schnell zu unserer Trinkstelle. Dort hörte ich ein Murmeln: "Also so eine unhöfliche Begrüßung habe ich noch nie gehört... " Die Stimme kam aus dem Mund eines kleinen Wesens. Plötzlich fing dieses Wesen Feuer. Aber das Feuer war nicht rot, sondern blau, nein grün, jetzt alle Farben des Regenbogens gemeinsam! Ich dachte, dieses Wesen wäre jetzt tot, aber es meckerte einfach weiter über mein Verhalten. Plötzlich bemerkte ich, dass es dunkel war. Die Sonne ging unter. Dann war es nun so weit!
Ich rannte zurück zum Lager und tapste zu Finsterschweifs Schlafkuhle. Er erhob sich und heulte mir zu. Ich rannte ein bisschen schneller. Seite an Seite verließen wir das Lager. Nach einiger Zeit ließ sich Finsterschweif auf den Boden sinken. Mit der Schnauze deutete er auf das Dickicht. Ich sah einen kleinen braunen Körper. Ein Kaninchen! Finsterschweif schlich sich an das kleine Tierchen heran. Plötzlich kam eine fette Fliege angebrummt. Sie verscheuchte das Kaninchen. Mist! Finsterschweif knurrte. Doch ich hörte etwas. Die Fliege brummte: "Schnell! Ihr müsst zum Lager zurück! Ihr werdet angegriffen!" Mit diesen Worten schwirrte sie davon. Ich erzählte Finsterschweif von den Worten der Fliege. Dieser nickte und fauchte: "Dann sollten wir mal zum Lager. Das mit der Fliege, ist deine Gabe. In jeder Generation gibt es fünf dieser auserwählten." Wir rannten los. Während des Laufens erklärte Finsterschweif mir, dass auch er eine Gabe besaß. Seine Gabe war Ortung. Sein Orientierungssinn war besser als der des ganzen Rudels. Außerdem konnte er in seinem Kopf Karten erschaffen und Tiere, die er einmal berührt hatte, vor seinem inneren Auge verfolgen.
Wir waren am Lager angekommen. Es war totenstill. Ich zitterte. Finsterschweif bemerkte, dass es mir kalt über den Rücken lief und schmiegte sich an mich. Wir betraten das Lager. Es war blutdurchtränkt. In der Mitte unserer Heimat lag ein Körper. Wir näherten uns dem regungslosen Wolf. Er war klein, eindeutig ein Weibchen. Das silbergraue Fell war rot vom Blut. Ich sah die blauen, weit aufgerissenen Augen und mit einem Schlag wurde mir klar, wer es war: meine Schwester, Steinflocke. Ich schluchzte. Finsterschweif schob mich sanft von meiner toten Wurfgefährtin weg. Das Lager war wie ausgestorben. Es gab weder Überlebende noch weitere Tote. Es war einfach niemand da.
Dann hörten wir ein leises Quaken. Ein Frosch kam angehüpft. Der Frosch erklärte: "Ich bin Tiefenrausch. Auch ich besitze eine Gabe: Hypnotisieren. Was ist euere Gabe? Euch interessiert wohl, was hier passiert ist: Wolkenwölfe haben angegriffen. Bis auf den einen Körper wurden alle Toten verschleppt. Doch... es gab noch ein paar Überlebende... Drei von ihnen nahmen sie mit... Es waren eine sehr schlanke Wölfin, eine etwas dickere und eine junge... Die jüngere hatte genau so ein Fell wie du." Ich schrie: "Nein! Meine Schwester, Mutter, Schattenpfote?! Sie sind weg? Entführt von Wolkenwölfen?" Finsterschweif schaute mich schief an. Ich merkte, dass Finsterschweif nichts verstanden hatte. So übersetzte ich alles, was der Frosch gesagt hatte.
Fortsetzung folgt!
, - 9. Dezember 2021